Zumindest in meinem Leben ist die erzwungene Entschleunigung definitiv angekommen. Es geht ruhiger zu, in meinem Büro, auf meinem Handy, in meinem E-Mail-Posteingang, aber auch Zuhause. Aktuell sind auch noch Ferien. Eigentlich wären meine Tochter, mein Patenkind und ich gerade mit lieben Freunden zum Ski fahren unterwegs. Die beiden Mädchen hatten sich schon sehr gefreut und doch haben sie die Tatsachen letztlich beide tapfer getragen.
Die Entschleunigung zeigt sich an unterschiedlichsten Stellen. Es ist Zeit für Begegnungen da, die sonst nicht in diesem Umfang da ist. Wobei sich an dieser Stelle natürlich die Frage stellt: Ist sie nicht da oder will ich sie mir nicht nehmen? Vermutlich ist Letzteres der Fall. Pünktlich um 10.30 h klingelt an Wochentagen mein Bürotelefon, ein liebgewonnener Kunde ruft an, der aufgrund der aktuellen Krise ebenfalls hart ausgebremst wurde. Wie geht es Dir, wie geht es mir? Was liegt an? Irgendwie ein schöner Tagesordnungspunkt. Unter normalen Umständen nicht möglich. Aktuell spreche ich fast jedes Mal im Supermarkt mit einer der dort Beschäftigten. Und manche von ihren Geschichten lassen mich den Kopf schütteln.
Auf meine Frage: Nun ist es doch sicherlich auch für Sie etwas entschleunigter zu arbeiten, antwortete sie: Nicht wirklich, die Menschen werden von Corona-Woche zu Corona-Woche unfreundlicher, egoistischer, irgendwie schwieriger.
Egoistischer? Dieses Adjektiv hat mich noch eine Weile beschäftigt. Werden wir, bzw. sind wir in dieser Krise egoistisch und wenn ja, wo? Vermutlich sind die sinnlosen Hamsterkäufe ein gutes Beispiel für egoistisches Verhalten. Hauptsache ich bin versorgt, wie die anderen klarkommen muss mich ja nicht interessieren.
Zurück zur Entschleunigung. Nach drei Wochen Entschleunigung sollte sich eine Art Tiefenentspannung einstellen, so würde ich auf den ersten Blick denken. Tatsächlich beginnt in mir allerdings so etwas wie Unruhe aufzukommen. Ein gedankliches Füße scharren, wann es denn nun endlich wieder losgeht. Die Zeit des Abwartens, des weniger Tuns war jetzt lange genug, jetzt soll es endlich wieder losgehen.
Entschleunigung ist gut und schön, aber nichts tun zu können, das fühlt sich irgendwie „nutzlos“ an. Etwas „nutzloses“ ist häufig auch „wertlos“ und schon schauen wir in die Abgründe unseres Selbstwertgefühls, welches gerade auch vor neuen Herausforderungen steht. Selbst mir als intrinsisch motiviertem Menschen tut die Anerkennung meiner Kunden gut. Jetzt muss ich mir selbst genug sein. Und das fällt an dem einen Tag leichter, an dem anderen schwerer.
Denn seit gestern Abend ist klar: So schnell geht es mit dem „Business as usual“ noch nicht wieder los. Bleibt die Frage: Wohin mit der Energie?
Wir haben uns entschieden die Energie zu kanalisieren. Kanalisieren in neue Ideen, neue Produkte und das Ausprobieren von Dingen, die wir bis heute nur vom Hörensagen kennen. Das Schöne daran ist und jetzt schließt sich der Kreis zum Anfang, zur Entschleunigung: Wir können dies in einem anderen Tempo tun oder wenn uns das zu langsam ist, dann können wir viel mehr Neues probieren, als wir es im normalen Alltag bewerkstelligen könnten.
So ist das mit der Krise. Neben den wirtschaftlichen Aspekten sind auch die persönlich, emotionalen Herausforderungen neu. Ich bin gespannt, was davon bleibt, wenn wir wieder im Normalmodus laufen. Bis dahin bleiben Sie bitte gesund.
Ihre Christin Haarmeyer