Wenn Mitarbeitermangel und Vollbeschäftigung Vertriebsaktivitäten scheinbar überflüssig machen
Vor einigen Jahren erzählte mir ein Laborinhaber von seinem Seniorchef, respektive dem Gründer des von ihm übernommenen Labors. Bei diesem Menschen, so berichtete er, muss es sich wohl um ein Unikum gehandelt haben: Klein, ein wenig kauzig, innovativ, für die hohe Qualität seines Labors in der Region bekannt. Bei ihm riefen die Zahnarztpraxen an, um zu fragen, ob er wohl bereit sei, mit ihnen zusammen zu arbeiten. Manchmal sagte er ja, in der Regel aber nein, weil das Labor mehr als gut zu tun hatte. Zum Zeitpunkt der Erzählung schienen dies für den Laborinhaber damals paradiesische Zustände gewesen zu sein.
Heute geht es in dem ein oder anderen Dentallabor wieder so, wie oben beschrieben. Oftmals liegt der Grund für die Vollauslastung jedoch im akuten Mitarbeitermangel und nicht in der Vielzahl, der an einer Zusammenarbeit interessierten Zahnarztpraxen begründet. Das Labor hätte mehr Kapazität, gäbe es mehr Mitarbeiter. Die Automatisierung ist zwar in vollem Gange, aber noch nicht in dem Umfang im Laboralltag angekommen, als dass damit der akute Mitarbeitermangel aufgefangen werden könnte.
Mit dieser Situation hat sich auch mein Tätigkeitsfeld als Vertriebscoach verändert. Über viele Jahre ging es bei meinen Kunden vornehmlich darum, überhaupt einen funktionierenden Akquiseprozess im Labor zu installieren. Später trat immer mehr die Skalierbarkeit eines solchen Prozesses in den Vordergrund: Man wollte flexibler auf entstehende bzw. akute Umsatzbedarfe reagieren können. Vor ca. drei Jahren bin ich das erste Mal bei einem Kunden mit der vertrieblichen Herausforderung der Vollauslastung in Kontakt gekommen. Es ging um die Frage, wie man in dieser Situation verhindern kann, Kunden und Interessenten vor den Kopf zu stoßen und den Ruf des eigenen Unternehmens nachhaltig zu schädigen. Insbesondere deshalb, weil zu diesem Zeitpunkt, mitten in der Corona-Pandemie noch niemand sagen konnte, wo die Umsatzreise hingehen würde. Es ging um eine vertriebliche Vorgehensweise, respektive um die dazugehörige Kommunikationsstrategie, die Kontakte erhalten, also nicht verprellen sollte, bestimmte Arbeiten möglich machen, andere jedoch abmoderieren sollte, kurzum: Es sollte so viel wie möglich offen gehalten werden, um bei Bedarf wieder darauf zugreifen zu können.
Aus dieser Aufgabe, die uns eine andere Art des Denkens abverlangte, entstand in vielen Laboren ein Wechsel der Vertriebsart, hin zum qualitativen, weg vom quantitativen Vertrieb, weg vom externen Vertrieb, hin zum internen. Der Schwerpunkt des Vertriebs hat sich oft verändert, die Zutaten sind die gleichen, die Gewichtung häufig anders.
Gleich geblieben ist auch, dass es eine unbedingte Vertriebsnotwendigkeit gibt. D.h. die Aussage der Überschrift ist zwar möglich, strategisch allerdings nicht sinnvoll oder anders formuliert, sie ist strategisch gesehen gefährlich.
Was bedeutet dies konkret: Strategisch gesehen ist es im Vertrieb wichtig, ständig eine aktuelle Antwort auf folgende Fragen zu haben:
- Umsatzziel
- Umsatzrisiken/Umsatzchancen
- Umsatzbedarf
- Qualität der Kunden/des Umsatzes
Aus den o.g. Faktoren läßt sich für jede Laborsituation, jede Umsatzsituation ein passendes Vertriebskonzept erstellen, bzw. mit den Antworten auf die o.g. Faktoren, läßt sich ein ein-mal installiertes Vertriebskonzept professionell skalieren, eben an die aktuellen Bedürfnisse anpassen.
a. Das Umsatzziel
Das Umsatzziel wird regelmäßig im Rahmen der jährlichen Unternehmensplanung fixiert. Es kann höher, gleich oder sogar niedriger sein als im Vor- bzw. im laufenden Jahr. Die Hö-he hängt von den Kapazitäten des Labors, der Mitarbeiterdecke und von der Qualität des Umsatzes ab. Letztlich ist das Umsatzziel nur ein Faktor, den es festzulegen gilt. Viel interessanter ist die Zielumsatzrendite. Denn es macht vertrieblich schon einen großen Unterschied, ob das Ziel bei zehn oder zwanzig Prozent liegt. Sind die Optimierungspotentiale in den technischen Workflows, im Einkauf, in der Automatisierung ausgeschöpft, dann läßt sich die Umsatzrendite auch noch über entsprechende Vertriebsmaßnahmen verändern.
b. Umsatzrisiken und -chancen
Die Umsätze eines Unternehmens sind nicht statisch, sondern ständig im Fluß. Es ist unerlässlich, dass am Ende jedes Monats eine Analyse der Umsätze im Hinblick auf Chancen und Risiken erfolgt.
Die Laborsoftware sollte dazu ein Controlling-Tool enthalten, welches die monatlichen Umsatzzahlen im Vergleich zum Vorjahr und in der Ganzjahresübersicht zur Verfügung stellt. Im Vergleich lassen sich nun Kunde für Kunde Veränderungen erkennen. Ist der Umsatz ähnlich wie im Vorjahresmonat, höher oder niedriger. Gibt es Erklärungen für diese Veränderungen (z.B. Feiertage, die im letzten Jahr in einem anderen Monat waren, Krankheit oder Urlaub der Praxis) oder eben nicht. So ergeben sich aus den Veränderungen vertriebliche Aufgaben, die über ein bestimmtes, ungewöhnliches und nicht erklärbares Maß hinausgehen. Umsatzeinbrüche müssen, sofern man diese zurückgewinnen möchte, sofort mit dem Kunden geklärt werden, Umsatzgewinne sollten zeitnah zu einer Reaktion in der Praxis führen.
Die Analyse der Umsätze sollte an dieser Stelle nicht stehen bleiben, denn die Veränderung kann auch in der Umsatzzusammensetzung liegen und das bei gleichem Umsatz im Vergleich zum Vorjahr. Auch diese Veränderungen gilt es zu erkennen und die entsprechend notwendigen Vertriebsmaßnahmen zu ergreifen.
c. Der Umsatzbedarf
Der Kundenstamm eines jeden Unternehmens verändert sich. Nicht zuletzt schon deshalb, weil Kunden altersbedingt in den Ruhestand gehen und die Praxis geschlossen, nicht weitergeführt wird. Ebenso verändern neu eingerichtete Praxislabore oder der Einstieg in die Digitalisierung in Kombination mit Chairside-Lösungen die Höhe des Umsatzes und führen zu einem möglichen Umsatzbedarf. Es ist für den vertrieblichen Weitblick unerlässlich über aktuelle Kenntnisse und vorhersehbare Umsatzveränderungen zu verfügen.
Beispiel: Kunde A (62 Jahre, 150.000 Euro Jahresumsatz) teilt mit, dass er in drei Jahren in Ruhestand gehen wird und die Praxis, die sich im eigenen Wohnhaus befindet, einfach schließen wird.
Aus heutiger Sicht ist eine Vertriebsaktivität sicherlich noch nicht dringend notwendig, allerdings ist der zukünftige Umsatzbedarf schon klar und muss in den Vertriebsmaßnahmenplan integriert werden, damit der Ersatzumsatz erarbeitet ist, wenn der Ruhestand akut wird.
TIPP: Einen Jahresumsatz in dieser Höhe ersetzt man nicht in einem halben Jahr.
Fazit: Auch wenn keine einzige Arbeit mehr ins Labor paßt, darf nicht auf die Analyse der Umsätze verzichtet werden. Trotz Vollauslastung können unbemerkte Veränderungen oder das Verschließen der Augen vor zukünftigen Veränderungen ein Dentallabor in eine Umsatzkrise führen. Wer seine Chancen und Risiken zeitnah erkennt, kann aktiv damit arbeiten.
d. Qualität des Umsatzes
Die Qualität des Umsatzes hat in allererster Linie Einfluß auf die Umsatzrendite. Wer trotz Vollauslastung sein Ergebnis verbessern möchte, findet hier oft Potentiale, die gehoben werden können.
Unter der Qualität des Umsatzes in vertrieblicher Hinsicht werden die Art des Umsatzes im Hinblick auf den Deckungsbeitrag und die Qualität der Arbeit als solche betrachtet.
Beispiel: Ein Dentallabor hat Kapazitäten für zwanzig Arbeiten pro Monat. Für die Umsatzrendite macht es einen deutlichen Unterschied, ob es sich bei diesen Arbeiten um Regelver-sorgungen, gleich- oder andersartige Arbeiten handelt.
Ebenso macht es einen Unterschied, ob die Qualität der Arbeit bzw. der Arbeitsunterlagen dazu führt, dass es sich bei den zwanzig Arbeiten um Neuanfertigungen handelt oder ob nur fünfzehn Neuanfertigungen möglich sind, weil die verbleibenden fünf Arbeiten durch Wiederholungen belegt sind.
Die Beispiele sind extrem vereinfacht, um das Prinzip des qualitativen Vertriebs zu verdeutlichen.
Wer also trotz Vollbeschäftigung bessere Ergebnisse erzielen möchte, der analysiert die Qualität des Umsatzes und leitet aus dem Ergebnis die entsprechenden Vertriebsmaßnahmen (Gespräche mit Kunden, Veränderungen des Workflows, Austausch von Kunden) ab.
Fazit
Auch in Zeiten der Vollauslastung bleiben vertriebliche Grundsatzaufgaben, die für Weitsicht und Sicherheit im Unternehmen sorgen. Diese zu vernachlässigen gleicht ein wenig dem Tanz des Büblein auf dem Eis. Es kann gut gehen, muss es aber nicht.
Viele Impulse ergeben sich aus der Umsatzanalyse. Wer sich dort die richtigen Fragen stellt und die vertrieblichen Fähigkeiten besitzt, die sich aus den Ergebnissen resultierenden Chancen und Risiken zu nutzen, der weiß, dass immer noch etwas geht, auch bei Vollauslastung.
Wenn Sie auf der Suche nach den richtigen Fragen und den richtigen vertrieblichen Antworten sind, dann sprechen Sie uns an. Unbequeme Fragen und praxiserprobte Handlungsanweisungen für unbequeme Erkenntnisse sind unser täglich Brot.